Als Retrospektive oder Sprint-Retrospektive werden im Rahmen von Scrum regelmäßige Treffen bezeichnet, in denen ein agiles Team bespricht, was und wie es in der letzten Zeit oder im letzten Sprint gelaufen ist und wie es seine bisherige Arbeitsweise verändern kann oder will, um in Zukunft noch wertschöpfender zu arbeiten.
Das ist für Ihr Unternehmen nicht nur auf dem Papier eine gute Sache, sondern in der Praxis essenziell, damit Ihre agilen Teams sich weiterentwickeln können.
Ihre Führungskräfte werden dadurch allerdings in ein Dilemma gebracht, für das Scrum ihnen keine Lösungsidee gibt.
Retrospektiven im Idealfall
In einer guten Retrospektive äußern die Teammitglieder unter der Moderation des Scrum Masters offen Kritik, ggf. auch an der Arbeit und dem Verhalten anderer Teammitglieder. Da kann es auch emotional hoch hergehen. Das gehört dazu, um weiterzukommen, passiert aber nur, wenn die Retrospektive in einem „geschützten Raum“ stattfindet. Deshalb gelten für Retrospektiven zwei Regeln.
Da ist zum einen die so genannte Vegas-Regel. Sie stammt aus dem Amerikanischen und besagt: „What happens in Vegas, stays in Vegas.“ Übersetzt in Scrum heißt das: Was im geschützten Raum der Retrospektive gesagt wird, verlässt diesen Raum nicht.“
Die zweite Regel ist, dass nur Teammitglieder einschließlich des Scrum Masters an dem Treffen teilnehmen, sonst niemand. Auch die Führungskraft nicht.
Die Krux für Sie als Führungskraft: Sie zeichnen in der Organisation verantwortlich für das Team und seine Ergebnisse. Das können Sie aber eigentlich nur, wenn Sie auch Bescheid wissen, wie es im Team läuft – oder nicht läuft.
Okay. Wie kommen Sie nun an die Information?
Retrospektiven im schlechtesten Fall
Ich kenne Führungskräfte, die das Problem so für sich lösen, dass sie sich einfach in diese Retrospektiven hineinzecken. Oft ist ihnen nicht bewusst, dass sie diesen Treffen damit ihre Kraft nehmen. Kein Mitarbeiter wird frei von der Leber weg über Fehler sprechen oder gar den Kollegen Fehlverhalten vorwerfen, wenn die Führungskraft mit dabei ist. Auf diese Weise schlagen Retrospektiven sofort in Theater um. Deshalb ist das die schlechteste aller möglichen Lösungen.
Und wenn Sie jetzt einwenden, dass doch der Scrum Master die Führungskraft daran hindern sollte, an der Retrospektive teilzunehmen – er oder sie sollte es doch besser wissen: Stimmt. Aber in der Realität beugen sich die Scrum Master dem Willen der Führungskraft – zumal sie oft dazu gezwungen werden – und machen gute Miene zum bösen Spiel.
Ich empfehle Ihnen einen anderen Weg, wie Sie als Führungskraft am Puls des Teams bleiben, ohne dessen Learning zu stören.
So lösen Sie das Dilemma
Gehen Sie auf den Scrum Master und gegebenenfalls auf das gesamte Team zu. Schildern Sie Ihr Dilemma – das ist Ihren Mitarbeitern oft so nicht bewusst – und suchen Sie gemeinsam nach einer Lösung. Machen Sie klar, dass Sie den besonderen Wert der Retrospektiven für das Team sehen und dass Sie diesen durch Ihre Anwesenheit nicht schmälern wollen. Und legen Sie dar, auf welche Informationen Sie angewiesen sind, um Ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
Wenn Sie an dieser Stelle von mir ein konkretes Patentrezept erwartet haben: Sorry, es gibt keines. Aber meiner Erfahrung nach können Sie darauf vertrauen, dass Sie im Gespräch eine Lösung finden, die für beide Seiten funktioniert.
Ihre Carolin Salamon