Es wird leiser, wenn Kerstin den Raum betritt. Die Gespräche verstummen. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich unwohl, wenn sie dabei ist. Sie wissen nicht so recht, wie sie Kerstin einschätzen sollen: Ist sie total verpeilt? Oder hat sie eine Hidden Agenda? Arbeitet sie fürs Team oder nach eigenen Regeln?
Nun, Kerstins Kollegen des Software-Entwicklungsteams hatten in gewisser Weise recht: Tatsächlich hatte die Mitarbeiterin eine Hidden Agenda. So wie es viele Mitarbeiter in vielen Unternehmen haben – wahrscheinlich auch in Ihrem. Aber sie tat aus ihrer Sicht etwas ganz Logisches.
Was persönliche Ziele anrichten
Kerstin riss sich geradezu darum, als Bearbeiterin einer Story eingetragen zu sein. Und das war es, was das Team total genervt hat. Denn sie konnte das ja alles nicht schaffen, weder vom Know-how, noch von der Zeit her. Aber darüber ließ sie nicht mit sich reden. Und ihr Verhalten richtete deutlichen Schaden an: Das Team wurde durch die Aktivitäten dieser Mitarbeiterin daran gehindert, seine Arbeit gut zu planen. Einen Überblick zu behalten. Die Arbeit in sinnvoller Reihenfolge zu tun.
Diesen Schaden am Team hatte aber nicht Kerstin zu verantworten! Sie tat aus ihrer Perspektive heraus genau das Richtige. Nein, es war ihre Führungskraft, die in diesem Fall etwas Problematisches getan hatte. Etwas Typisches.
Geben Sie Ihren Mitarbeitern keine falschen Ziele
In den meisten Unternehmen ist es immer noch Standard, dass jeder einzelne Mitarbeiter persönliche Ziele bekommt. Da gibt es Zielvereinbarungen von Führungskräften: „Ich möchte gerne, dass Sie im nächsten Jahr dies und jenes machen – und Sie bekommen dann mehr Geld, wenn Sie das erreichen …“ Und in diesem Fall war das ähnlich.
Die Hidden Agenda von Kerstin war, dass sie für die Anzahl der von ihr umgesetzten Stories incentiviert wurde. Sie tat, was sie tat, weil ihre Führungskraft sie dafür mit Boni belohnte. Und diese Führungskraft dachte sich: Wenn jeder viele Stories umsetzt, dann läuft die Entwicklung gut. Zwar merkte er, dass das Team nicht rundlief. Aber er hatte keine Ahnung, dass es an ihm selbst lag.
Die Karotte vor der Nase hilft vielleicht einem Esel …
Diese Ahnung erhielt die Führungskraft erst, als ich dem Konflikt im Team auf die Spur kam und der Sache nachging. So konnte ich mit meinem Blick auf das Team-System der Führungskraft bewusst machen, was hier passierte.
Dass er durch seine Art der Messung von Leistung Kerstin nicht nur davon abgehalten hat, für das Teamergebnis zu arbeiten. Dass er sogar dafür gesorgt hat, dass sie gegen das Team und das Teamergebnis arbeitet.
Und deswegen ist mein Rat für Sie: Verzichten sie ganz darauf, Ihren Mitarbeitern persönliche Ziele zu setzen. Die Karotte vor der Nase hilft vielleicht einem Esel, aber nicht Ihren Mitarbeitern, die in agilen Teams sich selbst organisieren und arbeiten sollen. Wenn Ziele unbedingt sein müssen, dann probieren Sie es mit transparenten und vom Team erreichbaren Team-Zielen.
Ihre Carolin Salamon