Wie viele Kröten sind Sie bereit zu schlucken?

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Wie viele Kröten sind Sie bereit zu schlucken?

Neulich habe ich ein großartiges Beispiel erlebt, wie ein Unternehmen Agilität eingeführt hatte, von den Ergebnissen enttäuscht war und dann eine große Überraschung erlebte.

Agilität nach Vorschrift

Innerhalb der Firma wurden der Einfachheit halber einfach aus Organisationseinheiten „Agile Teams“ gemacht – also ein Product Owner benannt und ein Scrum Master mit ins Team gesteckt. Über das Aufgabenspektrum (wie bisher vier unterschiedliche Produkte für unterschiedliche Kunden) und die Teamgröße (16 Personen) wurde nicht gesprochen. Dafür wurden die Erwartungen hochgeschraubt: Agil bedeutet ja schneller, höher, weiter.

Der Scrum Master führte pflichtbewusst die üblichen Scrum-Rituale ein. Was dann in den nächsten Monaten zu beobachten war, war agiles Business-Theater! Erst durchaus engagiert, dann aber schnell ernüchtert. Die Dailies wurden nach Vorschrift und ohne innere Überzeugung durchgeführt, nutzlose Retrospektiven angesetzt, Meetings abgehalten, in denen sich drei Viertel des Teams langweilten, weil es nicht ihr Thema war.

Irgendwann waren der Frust im Team und ein aktuelles Kundenproblem so groß, dass sich die Gruppe in einer Retrospektive überlegte: „Was ist, wenn wir das lästige Scrum mit allen Ritualen und dem Master sausen und ein paar Leute jetzt einfach mal genau dieses Kundenproblem lösen lassen? Wenn diese Teammitglieder aus allen Regeln, Terminen und Mechanismen ausbrechen und sich nur darauf konzentrieren dürfen, dieses eine Problem zu knacken?“

Es war schön zu beobachten, was dann passierte.

Agilität als Ausbruch

Nach zwei Wochen führten sie für sich ein Daily ein, weil sie gemerkt hatten, dass sie diese tägliche Abstimmung brauchten und wollten. Und sie fragten den Scrum Master, dessen Unterstützung sie zuvor abgelehnt hatten, ob er ihre Retrospektiven für sie moderieren könnte.

Darüber hinaus waren sie mit dem Kunden in direktem Austausch: Jedes Mal, wenn sie eine neue Story umgesetzt hatten, ließen sie diesen darauf schauen und besprachen mit ihm, wie es weitergeht. Solange, bis das Ziel des Kunden erreicht war.

Diesen Mut zu haben, einfach mal (im Sinn des Unternehmens) zu machen, nicht in irgendwelchen hierarchischen, organisatorischen Regeln sich zu bewegen: Das ist echte Agilität.

Die Ergebnisse – sprich: der Kunde, der das Team in den höchsten Tönen bei der Unternehmensführung lobte – fand die Organisation dann auch klasse. Und nur deshalb war sie bereit, die Kröte zu schlucken, die ihnen das Team damit serviert hatte.

Agilität als Kröte

Denn diese Aktion war im organisatorischen Alleingang geschehen. Hätten der verantwortliche Product Owner und der Scrum Master vorab nachgefragt, ob dieses Vorgehen okay geht, hätte das Unternehmen „nein“ gesagt. Die Abweichung von den Regeln wäre verhindert worden.

Glücklicherweise hatten sowohl der Product Owner als auch der Scrum Master ein gutes Standing. Daher hatten sie den Mut, dieses Experiment zu wagen, auf das Können ihrer Mitarbeiter zu vertrauen und dem Team die Rückendeckung gegenüber der Organisation zu geben.

Das Experiment ist geglückt und hat dem Unternehmen neben dem wirtschaftlichen Erfolg durch das gelöste Kundenproblem noch einen riesigen Vorteil gebracht. Die Teammitglieder haben von sich aus Methoden wie etwa Dailys, die sie vorher komplett abgelehnt hatten, als sinnvolle Instrumente für sich entdeckt und eingeübt.

Ich denke, dieser Preis war das Kröten-Schlucken wert. Und was denken Sie?

 

Ihre Carolin Salamon

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